Für heute habe ich mir vorgenommen, meine erste Literaturkritik zu verfassen und in Folge auch zu veröffentlichen. Die Arbeit eines/r Literaturwissenschaftlers/lerin wird schon nicht so schwer sein. Für meinen Erstlingsversuch haltet Hermann Hesse und sein Text "Unterm Rad" den Kopf hin - ich fühle mich wie ein Friseurlehrling bei seinem ersten Haarschnitt. Gleich einmal für jene die es nicht wissen, ein paar notwendige Basisinformationen vorweg - ja: Hesse hat den Literatur-Nobel-Preis erhalten. Ja: 'Unterm Rad' ist als Oberstufen-Literatur einzuordnen - und ja: Autobiographische Züge sind nicht auszuschließen - der Text erzählt ja auch von Hesses Heimat: Baden-Württemberg.
Selbstverständlich war Google-Maps (in der coolen Satellit Darstellung) einer meiner Begleiter durch die vielen Worte und Sätze des Textes. Ich musste mir einfach die Bilder von Calw, Stuttgart und Heilbronn synchron zum Lesen ansehen. Und ja: Die gelieferten Bilder von Google entsprachen weitgehend den Beschreibungen von Hesse, ob sie auch der Realität nahe sind, getraue ich mich nicht zu bezeugen. Mir fehlen einfach die Mittel um empirische Vor-Ort-Kulissen-Forschung zu betreiben - es führt so oder so zu einem ➛ Irrelevant. Etwas Desktop-Research über die Nagold gehört auch hier zur Pflicht und noch lange nicht zur Kür - wo ich mich gerne hinschreiben möchte. Und die kleine Steinbrücke oder 'den Falken' herauszudedektivieren - vor Ort hätte schon seinen Reiz - bringt aber nicht wirklich viel zur psychisch-philosophischen und philologischen Komponente der Kritik ein. Nur ein wenig Atmosphäre in der Nase - oder sich allein den Satz denken: "Hier, in diesem Kloster-Garten hatten Hermann und Hans ihre innigen Gespräche" - sollte man jemanden mitnehmen, so braucht man sich die Plattitüde nicht nur denken - nein, man kann Sie dem/der Reisebegleiter/in direkt ins Gesicht sagen! Viel wichtiger als die Atmosphäre (die von Hesse sowieso in den nur denkbar blumigsten Worten bestens [und mit bestens meine ich besser als die Realität aber dennoch immer Wahrheit] beschrieben wurden) ist sicher ein geschärfter Blick auf die Akteure - mehr noch: Auf dessen Psyche! Noch bevor ich mit der obligatorischen Reflexion auf die Personen beginne, muss ich nochmals mit Nachdruck festhalten, dass seine Verben, die ontologischen Entitäten und seine Auswirkung - dass Tätigkeiten im Konnex zu seinen Gemütsauswirkungen wohl den Literaturpreis legitimieren - mehr noch, ich sage dass darin das Genie zu finden ist. Einfach ausgedrückt: "Jemand der das kommunale Mostpressen mit einem feinst justierten Präzisionswerkzeug des Geistes in einer derartigen Form bearbeitet hat alle Ehren der Landwirtschaftskammer für sich gepachtet. Wer über Arbeit so schreibt wie es Hesse tat, soll mit Stolz den Karl-Marx-Orden für besondere Leistungen tragen. Das macht die Texte von Hesse so besonders - er ist Idealist - und idealisiert den Moment - er malt mit Farben die denkbar sind, die vorhanden sind und die für seine Zwecke schalten und walten. Es sind die Bilder im Kopf, die Hesse befähigen, befehlen will. Es sind die Filme im Kopf, die Hesse knebeln und geißeln, treiben und trainieren, beherrschen will. Der intellektuelle Leser will das nicht - eingestehen, dass das Wort eines Anderen überhand nimmt. Der intellektuelle Leser verdrängt jene Momente, die von Hesse so idealisiert wurden und richtet seinen Fokus wieder auf die Personen - die Schwachstellen - nur um wieder gut schlafen zu können. Und zu Recht - inkonsequent in jeder Hinsicht. Jede Person, ein Bild aus der Polaroid Kamera. Jede Person reduziert auf ihren ersten Eindruck. Allen voran sicher Hans'ens Vater, der die Ehre besaß gleich zu Anfang psychographiert zu werden, der aber gegen Ende sich Wider seine eigene Positionierung verhält. Er wird so widersprüchlich - er gibt Hans 50 Pfennig um sich zu Amüsieren, wartet aber mit Rohrstab um ihn für sein zu Spät kommen zu prügeln. Was soll das? Es ist seine Rolle, die er spielte. Es war immer seine Rolle - von Anfang an - und nie war es Ehrgeiz die ihn trieb (wie es so oft in anderen Kritiken zu lesen ist). Er funktionierte - wusste die Bekannten in Stuttgart zu nutzen - er wusste die kommunikativen Konflikte des Moments zu meistern. Er kaufte sogar den Blaumann für seinen angehenden Lehrling. In allem war nur das bloße Funktionieren in Hans'ens Giebenraths Leben seine raison de etre. Im Moment des finanzierten Untergangs seines Zöglings und der beabsichtigten Strafe für das Untergehen - erwachte Vater Giebenrath erst in seiner Rolle als Vertreter. Als Rad im Uhrwerk der Wirtschaft - er gab Hans die Möglichkeit zur Entscheidung, zwischen Vernunft und Rausch - Hans entschied sich für den Tod! Damit endet auch Hans'ens Vaters Dasein - allein nur weil er glaubte, sein eigenes Schicksal im Verhalten des Bubens zu finden - weil er glaubte, in einer Welt des "Entweder-Oder" zu lebe und weil er erkannte, das es so etwas wie einer Alternative zum "Entweder-Oder" gibt. Eigentlich würde ich gerne jetzt wieder in meinen Modus als Philosoph eintreten - möchte lieber über dieses "Entweder-Oder" sinnieren, möge es beschrieben sein von Kierkegaard oder möge es als Phänomen noch immer über uns weilen - ich habe mich für die Literaturkritik entschieden - uns damit auch zurück zu den Personen "Unterm Rad". Und da haben wir auch wieder die Genialität von Hesse, der eigentlich Hans nur mehr (in einer Metaphysischen Ebene) die Möglichkeit zwischen Prügel und Tod überlässt. So als wenn. Hansens Leben war zu Ende. Hans hatte nur Schmerz oder Tod als Zukunftsperspektive - und diese Verzweigung brachte ihn in den Tod - womöglich ein Freitod? Tatsache ist - gegenwärtig können wir Hansens Schicksals nicht auf eine Bildungskritik zurück führen. Gegenwärtig ist Hansens Schicksal nicht die Summe seiner negativen Erlebnisse - mein Gott, er hatte bisher auch wirklich keine. Keine Konflikte, die einen Selbstmord legitimierten. Er war, auch bis zu seinem Tode, immer das denkbar glücklichste Wesen seiner Zeit. Und wenn man erlaubt, in einer Krankheit Glück zu finden, so war er im Laufe seiner Geschichte dem Glück näher als es einem Anderen je. Es war nie eine Frage ob Hans Giebenrath durch (z. B. seinem Ausscheiden aus dem Seminar) sein Leben glücklich sei. Wir müssen uns "Hans Giebenrath" als einen glücklichen Menschen vorstellen. Vorweg, bevor es zum Grotesken Teil der Arbeit kommt: Ich konnte keine Kritik am Schulwesen finden!
Nun zum 'literarisch-relevanten' Teil dieser Kritik:
Es bleibt uns eigentlich nur mehr die Frage, ob Hesse es geschafft hat, eine für einen eindeutig schwulen Hans Giebenrath, eine dementsprechende Umwelt zu schaffen? Und leider nein. Sie endet im Tod des Protagonisten. Sie endet und verschwindet wie eine nicht-verifizierte, also falsifizierte Realität. Sie verpufft im Tod eines im Grunde langweiligen Individuums. So stellte Hesse eigentlich nur den Versuch an, eine für einen potentiell schwulen, aber nicht eindeutig schwul gekennzeichneten Charakters, eine Utopie zu schaffen - die dem Schwulen ein Selbstbewusstsein jenseits seines Charakters bietet?
Und es bleibt mir schlussendlich nur die Frage übrig? War Hermann Hesse selbst ein warmer Bruder?