Literatur
Das Schweigen der Protagonisten
vom 17. Juli 2020

Es wird als ein äußerst beglückender Moment beschrieben - der Moment des Schweigens. In ihm scheint sich ein Nimbus eingenistet zu haben, der das tragende Element einer fremden Gesellschaft wird - nun den soll doch auch die Aussage in sich vollständig sein um Perfekt zu gelten - und Perfekt ist nun mal der vollendete Moment. Ist nun dieses Schweigen eigentlich nichts anderes als die Absenz vom Schwachsinn? Nein - definitiv nicht, weil der Schwachsinn als Gedanke ausformt und im besten Falle durch das gesprochene Wort zur Illustration wird. Ist nun dieses Schweigen der tiefgründige Aspekt des weisen Menschen, der_die den_das Moment erfassen möchte um in ihm das entwickelte Dasein aller neueren Erkenntnis in Abstimmung zur Vergangenheit zu erfahren?

Schon eher - aber noch nicht ganz! So bleibt uns nur mehr die Frage übrig, ob es der Phantasielosigkeit entspringt, die im Grunde niemals das Fundament für Logik sein kann - ich sage schon - die Phantasie ist die Simulation jeglicher logischen Rede und will man auf sie verzichten - so verzichtet man auf den logischen Gedanken, verzichtet man auf das Ratio - man verzichtet gänzlich Philosoph zu sein. Wieso drängt sich nun ein Kommunikationsmuster in meine Welt nach vor, die sich definitiv niemals als konstruktiver Impuls erfahrbar und machbar lassen machen lässt? Ich sehe natürlich das Genie wieder in der Pflicht, welches sich nicht durch Genialität selbst definiert, sonder sich über das überragende Gefühl der gefühlsarmen Instanziierung von Affekten nach sich zieht. Ja - es beschreibt das Gefühl als Affekt und es beschreibt auch den Gedanken als Kognition welche das tragende Element für Ratio sein soll. Die sichtbare Unkenntnis soll zur Anklagebank geschickt werden - und so wird in der Tradition von ECO bis Houellebecq Schritt für Schritt der gute Dialog eliminiert und durch Recherche-Tätigkeit ersetzt. Tiefe psychologische Einblicke in die Welt der Protagonisten sind Freihaus im Text und schon gar nicht mehr zwischen den Zeilen - weil der_die Schreiber_in das Selbstbewusstsein erlangt hat, Interpretationen über den Dialog und der Nutzung der Sprache gänzlich durch blanke Offensichtlichkeit zu ersetzen - der_die Leser_in von heute hat gar nicht mehr die Möglichkeit einen Dialog zu interpretieren - nur allein: sie kommen nicht mehr vor! Identifikation zum Protagonisten ist doch pubertierendes Lesen - und wird meine eigene Identifikation nun durch Indoktrination des schreibenden Gesindels bestimmt, wo es doch genauso subtil über den Dialog passieren könnte - so geht es darum, den Menschen als Ganzheit zu erfassen um so seine eigene Abstößigkeit durch seine eigene Befremdung neu zu erfahren. Mit Sätzen wie: "Sie erzählte breit und ausführlich von ihrer Reise durch die Normandie und als sie zwischen Heugon und Le Sap-André ihren Daumen hochstreckte um vom nächsten Trucker abgeschleppt zu werden, war ich bei meinem vierten Schnapps der die Erzählung erst erträglich machte". Nein - der_die Literaturprodzierende könnte es nicht anders formulieren - würde er_sie sich auf das Abenteuer des Dialoges einlassen:

Sie: "Irgendwo zwischen Heugon und Le Sap-André musste ich als Tramperin weiter-reisen - ein Umstand der mich auf meiner gesamten Reise nicht wirklich behindert hätte - behindert, im Sinne meines Vorwärtskommen. Und so stand ich auf der Landstraße - ich glaube es war die D232 oder auch wie immer - unmittelbar neben der La Guiel - ein kleiner Fluss, dessen Kraft noch immer ausreichen würde um ein Mahlwerk damit zu betreiben - streckte ich meinen Daumen aus, in der Hoffnung ein motorisiertes Fahrwerk zu bekommen, am liebsten selbstverständlich kostenlos und gratis".
Er: "Ich glaube ich bin diese Straße schon einmal abgefahren - waren dort Bäume wie künstliche Alleen gepflanzt?"
Sie: "Es war nicht einmal eine Straße - mehr ein asphaltierter Trampelpfad"

Das oben wäre ein kläglicher Versuch meiner inkompetenten Schreibtätigkeit, nur dem Dialog alleine, eine psychische Dimension der Sprechenden zu verleihen. Mit einem Ausschnitt wie oben, brauchen wir gar nicht mehr über die Gewohnheiten, Attitüden, Verhaltensmuster und psychischen Konkretisierungen mehr schreiben - der Dialog ist das tragende Element der Interpretation - aber, das schreibende Intellektuell gewährt dem_der hungrigen Leser_in nicht mehr das Vergnügen, aus dem Gespräch heraus, die Psyche zu deduzieren. Und jetzt - wo ich politisch, philosophisch, religiös und gesellschaftlich progressiv - modern - aufgeschlossen und gänzlich mein linkes Auge auf die Gegenwart richtend, während das rechte auf die Zukunft schaut - bin ich als einfacher Konsument der prosaischen Literatur noch immer im Mittelalter - besser gesagt in der subjektiven Hochzeit der Literatur hängen geblieben. Im Dialog gemäß Dürrenmatt bzw. Büchner aber auch Horvath hat das maximale Potential aller sprachlichen Möglichkeiten ergeben - man mag eine alte Dame die den Tod eines Verflossenen fordert, einen Untergebenen als Marionette von zwischen den Obrigkeiten und ihren Interessen und den vollendeten Angstzustand eines Lehrers vor einem seiner Schüler als trivial abtun - ja - in unserer Zeit ist der Plot tatsächlich aufgesetzt, jedoch die Dialoge Grenz-Genial. Das nun aber, die Protagonisten der gegenwärtigen Literatur mehr Schweigen als Reden ist symptomatisch für unsere konservativ-christlich fehlgeleitete Gesellschaft, die den Grundsatz: "Hände falten, Gosch'n halten" als Doktrin in allen gesellschaftlichen Instanzen sehen wollen - insbesondere natürlich in der Literatur. Der Film, als billiger Ableger der Literatur lebt vom Dialog - ein Film ohne Dialog wird bald in der Kategorie "Independence" abgelegt. Ein Theater ohne Dialog - undenkbar, soviel Körpersprache können die Schauspieler_innen gar nicht leisten, als das zum Genuss wird. Und dennoch - schreibt die Gegenwart weiter über die Schweigenden Protagonisten und machen ihre Lyrik und ihre Prosa ungewollt zum Fachbuch - den der Leser und die Leserin will wahrscheinlich mehr aus dem Text lernen als aus ihm zu Erfahren. Der_die Leser_in will eine Geschichte am liebsten mit einem Fachbuch verbunden wissen - zwei Fliegen mit einer Klatsche erledigt - lesen und lernen in einem - in was für einer kranken Welt lebe ich?

Thomas Maier
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