Literatur
Nur für Verrückte - Eintritt kostet den Verstand
vom 28. September 2020

Ja richtig: "Der Steppenwolf". Und ja - eine weitere Meinung zu den unzählig vielen Interpretationen, Buchbesprechungen, wissenschaftlichen Arbeiten und Zeitungsberichten seit seinem ersten Erscheinen im Jahr 1927. Sollten Sie das Buch noch nicht gelesen haben, dann bitte ich Sie: "Hopp Hopp, besorgen Sie sich das Buch (im Originaltext) und nehmen Sie sich die Zeit es zu lesen - Sie können danach gerne wieder hier weiterlesen, wenn Sie möchten ..." - Für jene die "den Steppenwolf" schon kennen soll sich meine subjektive Welt über den Text Ihnen auftun, alsbald Sie Weiterlesen.

Beginnen wir mit den zwei Hauptfehlern des Buches. 1. Der Titel und 2. Der Protagonist. Genauer genommen am Protagonisten selbst ist nichts einzuwenden - seine Persönlichkeit wird stringent im Text durch ein einladendes Simulakrum einer realen Welt des "Bürgertums" geformt und ausreichend genug, aber im Geiste Hesses stets brillant ausgeformt. Herr Haller, kein Doktor, kein Professor - also von Anfang an müßig genug aber unbeflissen zu wenig um sich der Welt der Phantasie zu verschließen, lebt im Dunstkreis des Bürgerlichen Traumideals - so nah wie ein Kommentator des genormten Leben nur sein kann. Er entfernt sich, als markante Eigenheit des mittleren bis fortgeschrittenen Alterns, von der Bühne einer durch Traumvorstellungen generierten Wirklichkeit, die tatsächlich zur Wirklichkeit avancierte. Die Araukarien werden in dieser Welt zum Sinnbild seiner innewohnenden Ästhetik - einer im Vergleich zu (in Farbe und Strahlkraft) anderer Flora eher langweiligen Pflanze, die durch Hesse natürlich in gekonnter Weitsicht ausschließlich auf seinen Geruch reduziert wird. Die gegenwärtige Vorstellung von Geruchsfernsehen (bzw. Geruchsinternet) wurde hier von Hesse schon lange vor der Erfindung beider Medien spielerisch in den Text eingebunden. Wie käme es auch? Bitte riechen an Seite 43 - sie wurde mit Araukarien-Düften parfümiert - ein zutiefst flüchtiger Gedanke. Das also der Meister gegen Ende eine der genialsten Medienkritiken (sprachlich höher gestaltet als von Günter Anders es ihm jemals möglich gewesen wäre) in der Form am Radio - installiert durch Mozart - geübt hat, sollte m. E. nur ein kleines Bonmont sein welches dem Text gratis beigelegt wurde. Aber zurück zum Hauptfehler 2 - dem Protagonisten. Das sich die Persönlichkeit eines Protagonisten nicht nur durch einen Einblick in seine Psyche erschließen lassen soll, war dem Meister bewusst. Das die Ausformung seiner Persönlichkeit erst im Wechselspiel zwischen den anderen Akteuren seine Feinheiten bekommt, hat Hesse nicht nur damals gewusst, sondern auch derart genial umgesetzt, was ihn vom einfachen Schreibknecht zum Gesellen des Wortes erhob. Und an der Stelle habe ich schon das Wort "genial" verwendet - ich wollte es hinauszögern, aber "hey, wir sprechen von einem Hesse-Text". Ach ja - und als ich letztlich ihn als einfachen Gesellen abtun wollte - so soll mir bitte keine Bösartigkeit unterstellt werden. Ich wollte im Grunde den Meister-Titel und das Genie nicht in Konkurrenz bringen. Denn es geht weiter - Es werden dem dämmernden Geist Rechte zugesprochen die weit über die Betrachterrolle (die ablesbar ist) hinüberreichen. Die Beobachter- und Berichterrolle, wie sie so oft schon in schnöden anderen Geschichten konstruiert wurde, um dem Protagonisten all-zu-viel Identifikationsmöglichkeit mit dem Leser zu geben, wird schon in der Konstruktion - im konstruktivistischen Prozess so logisch und richtig und korrekt aufgebaut, dass dem ludischen Charakter der Hess'schen Intension allein in den Anfängen des Textes nur Beifall und zugleich Missmut beigesteuert werden kann. Will ich als Leser tatsächlich erfahren, dass mein Leben nichts weiter ist als die Betrachtung des Lebens anderer? Will man mir wirklich weiß machen, dass meine Welt aus schon gedruckten und neu-gedrückten Buchstaben besteht und meine Phantasie zu nichts anderem Fähig ist, als ein Polaroid, ein Gedankenbild einer fremden Geschichte zu erzeugen, dessen Unfähigkeit darin besteht, dass ich nicht fähig bin, die Bilder in einem Kopf auf Leinwand in Kohle zu pressen oder in Töne zu gießen - nur allein, weil meine Persönlichkeit nur zum auditiven Denken fähig ist? Hesse hat in seinem "Steppenwolf" tatsächlich diese Aussage seiner möglichen Kritiker_innen verstanden - in welcher er sich von allen abheben wollte - erstens im Spiel oder zweitens im überlegenen auditiven Gedanken - der sowohl über das Radio vermittelt oder über das gedruckte Wort erst zur Höchstform gestaltet werden kann. Das allein ist nicht die Kritik am Protagonisten - selbst, wenn wir Hesse in dieser Schrift eine spielerische Herangehensweise unterstellen und beweisen können - warum soll auch über das Spiel nicht Literatur passieren? Meine Kritik am Protagonisten passiert definitiv nicht über seine konstruierte Persönlichkeit - nur allein Hesse ist Tot - wenn sollte es also interessieren? Vielmehr ist es die Aussage: "Hesse ist Tot" die ich kleiner Stümper in die Köpfe meiner Leser_innen pflanzen möchte. Warum? Weil ich ihm die geruhsame Vorstellung seiner aufgewühlten post-mortalen Schimäre haben lassen will? Nein - ich will in keinem allzu seltsamen Theater den Großmeister Hesse als Begleiter durch die Welt meiner mir fremd-konstruierten Welt wissen. Ich will durch Dürrenmatt geführt werden - ich das Genie einer Komödie die eine Welt ins tragische biegen kann an meiner Seite wissen, damit ich selbst, wie so oft - im Galgenhumor auch Lachen darf - Hesse verlangt es, erlaubt es aber nicht! Ja - und da haben wir Harry Haller. Meine Kritik also, mein Blick auf den Hauptfehler Nr. 2: "Warum Harry?" Warum wollte Hesse den guten Harald zum Harry machen? Das der Protagonist über die Verniedlichung seines Namens sympathisch gemacht wird - mag vielleicht ein nettes Argument sein, aber keine Berechtigung in einem deutschen Text das Y zuzulassen. Na gut - Karl Marx'ses Frau war eine getaufte (bzw. gebürtige) Jenny - aber sie kann auch eine Jennie gewesen sein. Ich kenne die historischen Hintergründe nicht und ich will auch nicht wissen. Wollen tue ich aber schon den Protagonisten als einen Deutschen zu verstehen. Sein gesamtes Leben ist auf das eines guten Deutschen ausgelegt. Goethe, und der Österreicher Mozart. Ich könnte mir Herrn Haller in seiner Liebe zu Brahms, Wagner und allen voran zu Nietzsche gerne als intellektuellen US-Amerikaner denken wollen - würde mein Denken explizit in diese Richtung gesteuert geworden getan gewesen wäre, aber es wurde nicht. Also nur ein billiger Versuch das Buch Übersee verkaufbar zu machen, mit diesem billigen Y am Schluss des Protagonisten Namens. Natürlich blieb Hesse mit der Freundschaftskonstruktion eines Hermanns bzw. einer Hermine seiner Schreibtätigkeit treu. Nun also zu Fehler Nr. 1 - der Titel. Was soll das mit dem Steppenwolf? Ich meine bei "Narzis und Goldmund" und später bei "Unterm Rad" habe ich nicht nur lesen sondern mehr knien gelernt. Ich habe in der Gewalt der Texte Ehrfurcht erfahren - in beiden Texten. So als ob eine apollinische Gottheit zum Diktat gerufen hat. So viel Ernsthaftigkeit und Genie. Natürlich hat er nicht meine Liebe vollständig gewonnen - ich fühlte mich mehr wie ein Konkubine die am Genie seiner Worte Befriedigung finden durfte ohne dabei sich wie eine Hure des Geistes zu fühlen, die mit Zeit ihres Lebens über den Hochgenuss der Worte bezahlt wurde. Ich sage es offen: "Siddhartha hat mich irritiert" - die Verfilmung sogar verstört. Aber dass ich dann im hohen Alter erst den Steppenwolf lesen durfte, brachte mich zu meiner alten Unterwürfigkeit gegenüber dem Genie zurück. Ach ja - der Titel: "Steppenwolf" bei aller Freundschaft. Lange Zeit schreckte mich der Titel ab. Ich glaubte daran wieder irgend eine fremdländische Erzählung wie im "Siddhartha" zu finden und lehnte das Buch eher ab. Glaubte schon an Erzählungen einer Steppenwelt-gemäßen Schilderung von irgend jemandem der in halt einer Steppe lebt. Bitte auf so was wollte und will ich mich eigentlich nicht einlassen. Der Titel erinnerte mich immer an irgend eine Karl May Hommage - und sollte ein Genie von Hermann Hesse es wagen eine Erzählungshommage an Karl May zu verfassen, dann will und wollte nie ein Zeuge davon sein. So, um das Ganze abzuschließen. Hesse ist und bleibt ein Gott der Worte. Will man ihm Gegenüber tatsächlich Kritik üben, so können wir es nur daran versuchen, ihn auf seine ständigen sprachlichen Genialitäten festzunageln und ihm infantil klar zu machen: "Bitte sei, sprachlich nicht in jedem Absatz deiner Werke ein Genie". Beschreibe nicht immer mit der Gabe des Genius Belanglosigkeiten - wir Leser_innen sind zum Kniefall deiner Fähigkeiten sowieso verpflichtet. Der Literaturnobelpreis war für Hesse nur die logische Konsequenz. Seine Worte werden wohl die Zeit überdauern - und übersetzt man manchmal x mit y so werden seine Texte sicher noch über die Zeiten überdauern - und das ist auch gut so.

Thomas Maier
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